Überdruss, Taedium und Müdigkeit, Langeweile und Fatigue sind – mit einem Wort – Dekadenzerscheinungen, die anzeigen, dass in einer Gesellschaft oder in einer bestimmten historischen Situation etwas zuende geht, das die Betroffenen noch nicht so ganz verstanden haben. Nach der Pandemie wird das Interessante an Konferenzprogrammen sich in eine Langeweile hier und in einen Überwachungszwang dort verwandeln. Wir leiden dann an etwas, dem wir aber noch anhängen, teils weil wir im Zwangszusammenhang der Kommunikation ökonomisch von ihrem Gebrauch abhängig sind, teils weil die liebe Gewohnheit der Koben ist, in dem ein innerer Schweinehund lebt, der nicht überwunden werden kann. Ich habe jedoch nie verstanden, was eigentlich ein Schweinehund ist, wie er aussieht und was er so macht.
Die Vorteile von Konferenzprogrammen sind zugleich deren Nachteile. Wir müssen nicht mehr das Haus verlassen (wir bewegen uns weniger), wir müssen uns nicht mehr fein machen, weil wir ja nicht mehr in ein Büro oder Restaurant gehen (wir vernachlässigen uns), wir müssen keine Außentermine mehr wahrnehmen (wir schaffen uns selber ab).
Wir begegnen keinen Menschen mehr, sondern deren digitalem Geist. Ein Geist verschwindet, wie er kommt. Der Host eines Meetings gleicht einem Medium, das Geister beschwört, ruft, sie dazu schaltet, oder wieder verscheucht. Ein Zoom-Meeting gleicht einer spiritistischen Sitzung, in der sich Geister begegnen, keine Menschen. Die Müdigkeit, an ihnen teilzunehmen, ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit und gleicht der Aufklärung, die jedem Geisterglauben den Kampf ansagt. Man muss nicht mehr real sterben, um ein Geist zu werden, der digitale Tod reicht inzwischen aus, um aus der Medienwelt zu verschwinden.
Zoom-Fatigue ist der erste Schritt von der Müdigkeit zur Mündigkeit. Bleibt der Zwang erhalten, reagieren wir weiterhin mit Krankheiten. Es ist eine völlig normale Abwehrreaktion, eine Kritik des Körpers, dessen heller Geist (spirit) zum Gruselgeist (ghost) auf dem Bildschirm verkommt. Wir reden auch anders in Video-Konferenzen, wir ziehen Masken auf, und sind nicht wir selbst. Alles Private, was zuweilen im Bildhintergrund in Form von Bücherregalen oder Stehlampen oder beliebigen Malereien sich darbietet, wird in die Öffentlichkeit der Konferenzrunde gezerrt und emotional entwertet: Was hat denn der für einen Möbelgeschmack? Kann man die Wörter auf den Buchrücken im Hintergrund entziffern?
Früher gab es Telefonkonferenzen, von denen sich Video-Meetings inhaltlich in nichts unterscheiden, und es ist die Frage, warum es dort keine Überdruss-Erscheinung gab. Weil das Sehen und Gesehen-Werden eine magische Kraft besitzt, der wir auch dann nicht entkommen, wenn wir nichts sagen.
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